Oliver Mark

MUSEO

Eröffnung Do. 07.10.2021 ab 19.00 Uhr im Kanya & Kage Art Space, Eisenbahnstrasse 10, 10997 Berlin-Kreuzberg

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Leerstunde
Till Schröder, Chefredakteur der Marginalien und Inhaber des Gretanton Verlags

Autoren kennen das, die Angst vor dem leeren Blatt, das vorwurfsvolle Blinken des Cursors, der auf der Stelle wie festgefroren verharrt. Maler kennen ihn auch, den Horror vacui, die Panik angesichts der Leere einer unberührten Leinwand. Fotografen eher nicht, schliesslich zeigt der Sucher stets ein Gegenbild. Muss ja nicht schön sein, aber ist eben da – leerer Akku oder vergessene Verschlusskappe mal außen vorgelassen. Sowas passiert einem seriösen Daguerreotypisten natürlich nicht.

Oliver Mark nun packt die Leere bei den Hörnern – und das mitten in den Tempeln der Kunstehrfurcht. An den Orten, in denen gewöhnlich die Blockbuster der Kunstgeschichte zur gefälligen Betrachtung altarisiert an den Wänden hängen – Museen und Galerien. Das Gemälde steht im Zentrum der Fluchtlinie, auf Augenhöhe der Betrachter, meist in ornamentschweren Rahmen, als würde das Auge nicht schon genug Blickführung erfahren. Das Bild wird dem Betrachter aufgezwungen. Flughafenarchitekturen ähnelnd endet der Weg des Besuchers unweigerlich im Duty-free-Shop des Kunstkanons, das Kunstwerk an sich füllt das Wahrnehmungsspektrum. Man kann eigentlich nicht vorbeischauen.

Mark aber schaut vorbei, er positioniert seine Kamera auf Fussbodenhöhe und knipst aus Froschperspektive, einzig sein Portemonnaies als Stativ nutzend. Die Entnahme oder Zugabe von Geldstücken bestimmt den Neigungswinkel des Objektivs und damit das Blickfeld. Wenn das nicht eine messerscharfen Analyse des Kunstmarkts ist, eine beißende Kritik an der Deutungshoheit des Geldes, dann fresse ich eine kritische Gesamtausgabe von Bazon Brock. Oder, Mark ist einfach nur gestolpert – und fand sich unvermittelt wieder in der Nischenwelt des Mikroversums wie der atomar schwindende Protagonist in Jack Arnolds Filmklassiker der 1950er Paranoia The Incredible Shrinking Man. Oder, Mark hat einfach nur Rücken und macht das Beste aus seiner Situation, bevor er es zum Osteopathen schafft. Aber ich schweife ab.

Egal wie er zu seinem Blick gekommen ist, die Perspektive seiner Fotografien verändert Wahrnehmung. Plötzlich rücken Details ins Rampenlicht: Steckdosen, Schutzgitter, Luftbefeuchter, Feuerwehrschläuche, Notausgangsschilder, Scheuerleisten, Abstandhalter – und Leere. Die Unaufgeregtheit monochromatisch getünchter Wände, rissiger Kanten, dunkler Wände, die nur Ausschnitte der präsentierten Bilder preisgeben, für die die Wand gemacht wurde. Statt im Motiv von de Chirico zu sinnieren, verliere ich mich im Capriblau der Wandfarbe, die das Foto dominiert. In der Chillout-Zone des Pantone-Raves einfach mal nichts erkennen, die Gravitas des Gemäldes ignorieren, nur Leere mit den Augen ertasten.

Das hat nicht nur einen meditativen Effekt, es rekontextualisiert Kunst. In dem Moment, wo man sich der Stützräder der Präsentationsmodi gewahr wird – die Stellwände, Absperrungen, Bewegungsmelder, Sitzbänke – geht Benjamins Aura des Originals flöten. Das Kunstwerk erscheint als Gebrauchsgegenstand neben anderen: hier Steckdose, dort Renaissance. Man erkennt wieder, dass Kunst ähnlich wie Papiergeld funktioniert: Ihre Artefakte werden mit Bedeutung aufgeladen, ihr Materialwert ist oft genug gering. Ihr Schatz liegt in der gemeinsamen Vereinbarung aller, dass genau diese Kunst Relevanz besitzt.

Und im Blickwinkel. Wir sind eine optisch getriebene Spezies. Aus dem Auge aus dem Sinn gilt nicht nur für Kleinkinder. Wir konstruieren Realität über den Sehnerv, viel mehr als über Fühlen oder Hören. Iconic Turn und so. Nimmt man dem Iconic Turn nun die Motive, ist er dann noch existent? Oder gilt Wazlawicks Verdikt, man könne nicht nicht kommunizieren, auch in der Kunst? Man kann nicht nicht abbilden. Ist Malewitsches Schwarzes Quadratnun Naturalismus, Symbolismus, Abstraktion oder Vorstudie für die Farbfächer der Druckindustrie? Die Magie des Volltons fasziniert. Die Abwesenheit von Muster irritiert unser Gehirn, das stets nach Wiedererkennbarkeit fahndet. Die Wand anstarren: Oliver Mark hat der Redewendung wieder neues Futter gegeben – und mir den Wunsch, beim nächsten Museumsbesuch einmal alles im Schneidersitz zu betrachten.

Profilbild von Oliver Mark

Oliver Mark

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