Walter Schels

© Walter Schels

In seiner Langzeitstudie TRANS* zeigt Walter Schels den Prozess des Einswerdens mit sich selbst

Im Herbst 2013 beginnt Walter Schels mit der Arbeit an einem Langzeitprojekt, dem wir mit der Ausstellung „TRANS*“ erstmals in Berlin einen Raum geben. In einfühlsamen Aufnahmen porträtiert der Fotograf junge Trans*Menschen, die sich auf den Weg zu ihrer tatsächlichen Geschlechtsidentität gemacht haben – Jungen, die als anatomisches Mädchen zur Welt gekommen sind, und Mädchen, die als anatomische Jungen geboren sind. Das Besondere: die enge Freundschaft des Fotografen mit dem Arzt, der als Hormonexperte seinen Patient*innen hilft, ihren Körper ihrem als richtig empfundenen Geschlecht anzugleichen, resultiert in einer einmaligen Werkgruppe, die die Transformation vom anatomisch angeborenen zum richtigen Geschlecht über einen längeren Zeitraum dokumentiert.

Heute umfasst die Serie Porträtaufnahmen von 27 Transmenschen. Die jüngste war zum Zeitpunkt der ersten Aufnahme elf Jahre alt, der  Älteste ist heute 23. Der Moment der Verblüffung bei der ersten Begegnung ist geblieben. Ob Transjunge oder Transmädchen, Kleidung, Körpersprache und Redeweise von allen Porträtierten weisen vom Moment des ersten Kennenlernens auf das zukünftige, von den Jugendlichen als ‘richtig’ empfundene Geschlecht.

Walter Schels hat sich bewusst für die klassische Form der Porträtaufnahme entschieden, die er mit seinen Werk über Jahrzehnte mitentwickelt und geprägt hat: Die Aufnahmen entstehen vor schwarzem Hintergrund, aus geringer Distanz, mit direktem Blickkontakt. Beleuchtet von einem gleichmäßigen, flachen Licht schauen Mädchengesichter und Jungengesichter ohne zu lächeln in die Kamera. Es sind unaufgeregte Aufnahmen, die Metamorphose von weiblich zu männlich und umgekehrt erscheint in den Bildern nicht als Drama, sondern vollzieht sich in subtilen Schritten.

Die Porträtierten entscheiden selbst, wie sie sich zeigen wollen, und wenn ja, in welchem Moment. Etappen der körperlichen Transformation werden nur dann zum Thema, wenn die oder der Porträtierte das ausdrücklich wollte. Wichtiger als die körperliche Erscheinung sind Fragen nach Identität, Bewusstsein und Persönlichkeit. „Was ist der Wesenskern eines Menschen?“, fragen die Bilder, „Warum ist er so und nicht anders? Welche Möglichkeiten hat er? Wo sind seine Grenzen?“ Das Interesse an der Identität seines Gegenübers ist bei Walter Schels biografisch gewachsen und begründet. Das Thema der Selbstablehnung sei ihm durchaus vertraut, so der Fotograf, und diese empathische Haltung mag der Schlüssel sein für die frappierende Nähe, die viele Betrachter*innen in seinen Porträtaufnahmen entdecken. Seine Schwarz-Weiß-Porträts geben Einblicke in Wesen und Psyche der Dargestellten. Sie sind intim, emotional, mitfühlend und respektvoll. Das Gesicht erscheint als Spiegel der Seele. Schels konzentriert sich ganz auf die Beziehung zu seinem Gegenüber und tritt durch das Objektiv der Kamera mit den Porträtierten in einen Dialog. Die Grenzen zwischen Betrachter*innen und Porträtierten verschwimmen.

Walter Schels (*1936 Landshut) gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Fotografen Deutschlands. Bekannt wurde er durch Charakterstudien von Prominenten aus Politik und Kultur, Porträt-Serien von Menschen in Extremsituationen und Tierporträts. Mit Beginn der 1990er-Jahre widmet er sich verstärkt eigenen künstlerischen Projekten. Zum Schlüsselerlebnis wurde für ihn ein Auftrag des Magazins „Eltern“: 1974 fotografierte er für die Zeitschrift eine Geburt. „Zum
ersten Mal sah ich das Gesicht eines neugeborenen Menschen. Doch nicht ein geschichtsloses Wesen schaute mich da an, sondern ein Gesicht mit Vergangenheit, wissend, uralt“, sagt Schels über diesen Moment. Seither hat ihn die Beschäftigung mit dem Gesicht nicht mehr losgelassen.

Seine Werke sind Bestandteil bedeutender Kunstsammlungen und wurden in Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, u.a. im Deutschen Hygienemuseum in Dresden, in der DZ Bank in Frankfurt, bei C/O Berlin oder im Mori Art Museum in Tokyo. 2019 widmete ihm das Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg eine gro e Einzelausstellung.

Anlässlich der Ausstellung „TRANS*“ erscheint eine Publikation, ca. 100 Seiten, ca. 120 s/w-Abbildungen, Text von Beate Lakotta.

Walter Schels
TRANS*

26. Juni – 31. Juli 2021

68projects
Fasanenstraße 68
10719 Berlin

Öffnungszeiten:
Di–Sa, 12–18 Uhr
und nach persönlicher Vereinbarung
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