Die Sachfotografin und Fotokünstlerin Hansi Müller-Schorp feiert ihren 95. Geburtstag

Die Sachfotografin und Fotokünstlerin Hansi Müller-Schorp feiert am 18. Juni ihren 95. Geburtstag – Wir gratulieren herzlich.

In der Sach- und Werbefotografie zu reüssieren, ist harte Arbeit. Disziplin, Begeisterung, Schöpferkraft und ein Auge für die Dinge sind unabdingbar. Hansi Müller-Schorp gehört zu den wenigen Frauen, die sich in der jungen Bundesrepublik Deutschland in diesem schwierigen Metier behauptet haben. Bis in die frühen 1990er-Jahre hat sie sich um die Sachfotografie verdient gemacht. Fragt man sie nach dem Schlüssel für ihre großartigen Fotografien, so lächelt sie und erzählt, sie habe lediglich jedem Gegenstand etwas Schönes abgewinnen wollen und dafür nach unkomplizierten, doch eigenwilligen bildgestalterischen Lösungen gesucht.

Schaut man auf Ihre Aufnahmen von Industrie- und Wohndesign, so sieht man gestalterisch und technisch perfekte Arrangements von Tassen, Tellern, Messern, Gläsern, Vasen, Möbeln oder Maschinenteilen. So gibt sie beispielsweise jeder Kaffeekannensorte – und seien sie einander noch so ähnlich – ein eigenes reizvolles Gesicht und jeder Stuhlform ringt sie eine anziehende Position ab. Die bis ins letzte Detail ausgefeilte Lichtregie verleiht ihrem gestapelten oder gruppierten Porzellan eine Vielschichtigkeit, die weit über eine Dokumentation hinausweist. Ihre sachliche Strenge – frei von schmückendem Beiwerk und jedweder Trickserei -, die ausgewogene Anordnung der Bildelemente und die gekonnte Lichtsetzung hat zu formvollendeten Kompositionen von selbst profansten Alltagsgegenständen geführt. Es sind quasi Stillleben, die das Erscheinungsbild ihrer Auftraggeber prägten. Nicht nur in abstrahierendem Schwarzweiß hat Müller-Schorp außergewöhnliche Bilder erzeugt, wie kaum jemand anderes beherrscht sie zugleich die Farbfotografie und bringt die Gegenstände in geschmackvollen, farbigen Darbietungen zum Klingen.

Die Produkte der Auftraggeber nutzt Müller-Schorp auch für ihre frei gewählten Themen. Ohne die Vorgaben und Wünsche der Kunden berücksichtigen zu müssen, lässt sie ihrer Fantasie freien Lauf und spielt mit dem Medium. Sie reduziert die Erzeugnisse auf Formen und Linien voller Poesie bis hin zu minimalistischen Fotografiken, die surreal anmuten und irritieren. Für diese Inszenierungen verwendet sie auch Montagen, Spiegelungen oder Fisheye-Objektive. Fantastisch ist die Positionierung zweier gläserner Puppenaugen auf schwarzem und weißem Grund ganz ohne Grauwerte, ebenso der schmale hohe Plexiglasturm gefüllt mit weißen Hühnereiern vor fast komplett schwarzem Bildgrund. Bei Auge und Ei bedient sie sich traditionsreicher Elemente, die das Sehen in der künstlerischen Fotografie thematisieren, zurückgehend auf die Avantgarde der 1920erJahre.

Doch Müller-Schorp arrangiert nicht nur Gegenstände im Studio, sie sucht und findet auch Motive in der Umgebung oder auf Reisen. Ihre ästhetischen, vielfach ungegenständlichen Farbstudien und -reihungen zu Gräsern, Blumen, Früchten, Papierfiltern und Mauerwerk scheinen ihrer sachlichen, grafischen Arbeitsweise zunächst entgegenzustehen. Doch ein genauer Blick zeigt durchaus Parallelen.

Den strengen Stil und die unermüdliche Auseinandersetzung mit dem Formalen hat Müller-Schorp von dem legendären Meister der Sachfotografie Willi Moegle erlernt, der das fotografische Genre in den Aufbaujahren der Bundesrepublik entscheidend vorgab. Im Atelier des Altmeisters beginnt sie mit 17 Jahren eine Lehre. Aus der Lehrtochter wird bald die Assistentin, ab Anfang 1970 die Leiterin des Studios und nach dem Tod des Mentors 1989 führt sie das „Atelier für Fotodesign“ in Eigenregie noch einige Jahre weiter. Aufbauend auf Moegles visueller Grundauffassung entwickelt sie einen ausdrucksstarken Stil, der in seiner poetischen Ausrichtung für die Dinge des Alltags einzigartig erscheint.

Mehrfach erringt Müller-Schorp bei internationalen Wettbewerben Preise. 2012 wird sie mit der David-Octavius-Hill-Medaille der Deutschen Fotografischen Akademie in Verbindung mit dem Kunstpreis der Stadt Leinfelden-Echterdingen geehrt. Zeugnis von ihrem wirksamen Schaffen geben die vielen Berufungen, beispielsweise 1966 in die Deutsche Gesellschaft für Photographie, 1968 in den Deutschen Werkbund oder 1970 in den Verband Freier Fotografen und Filmgestalter. Dort hat sie anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des BFF Baden-Württembergs für das Thema „Aufhänger“ ein verblüffendes, plastisch anmutendes Bild aus billigen Drahtkleiderbügeln geschaffen. Zuletzt waren ihre Arbeiten im Stadtarchiv Leinfelden-Echterdingen ausgestellt.

Bis heute ist Hansi Müller-Schorp für viele die Schülerin Moegles. „Ich war eben ein Schattengewächs. Aber das ging vielen Frauen so“, sagt die stille und zurückhaltende Müller-Schorp, die nie viel Aufsehen von sich macht und fährt fort „Die Lehre bei Moegle war gut für mich, für die Schule in München hatte ich kein Geld und seine Fotografie war auch meine Richtung.“ Erfreulich, dass ihr Vorlass vor einigen Monaten vom Museum für Fotografie, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin übernommen wurde. Ein wichtiges Ziel ist es, das über Jahrzehnte entstandene Werk zügig aufzuarbeiten und auszustellen, einschließlich der bisher wenig bekannten freien Detail- und Materialstudien in Farbe.

Text: Dorothea Cremer-Schacht