Der ehemalige Flughafen Tegel. Gemütliches West-Berlin. Wie häufig bin ich von hier mit meinen Kameras in die Welt gestartet, mit dem Ziel, entscheidende Momente festzuhalten. Wie viele Male gelandet mit Filmen und Speicherkarten voller schöner oder schwieriger Motive aus allen Regionen dieser Erde.
Und plötzlich findet ausgerechnet hier Weltgeschichte statt.
Unter der Federführung des Berliner Roten Kreuzes wurde gemeinsam mit den Berliner Hilfsorganisationen mitten auf dem Flugfeld eine immense Zeltstadt errichtet. Der Auftrag an das DRK lautete: „Aufbau und Betrieb des Ukraine Ankunftszentrums TXL für die Begrüssung, Registrierung, Verteilung und Erstunterbringung von Geflüchteten“. Denn kurz nach Begin der Kampfhandlungen erreichten täglich tausende Geflüchtete die Bundeshauptstadt.
Neben der Zeltstadt sind die Wiesen zwischen den Startbahnen abgezäunt, Bagger wühlen sich durch die Erde, auf der Suche nach Weltkriegsmunition. Eine irritierende Korrelation. Noch sind die Zelte leer, seit Wochen unbenutzt.
Mitten in der Nacht ein Anruf des DRK: es werden Busse aus dem Osten der Ukraine erwartet, die ersten Flüchtlinge werden im Laufe der Nacht ankommen. Ich verlasse umgehend eine Veranstaltung, nehme meine Leica und fahre nach TXL.
Seitdem ich von der Transformation des ehemaligen Flughafens erfahren habe, bemühte ich mich um eine Fotografier-Genehmigung: ich will die Konstruktion, die Struktur, die Organisation dieser temporären Hilfs-Stadt dokumentieren. Nun bietet sich mir diese Möglichkeit, Stunden vor dem Einzug der ersten Kurzzeit-Bewohner.
Es ist lange nach Mitternacht als die dort seit Stunden wartenden Helferinnen und Helfer in Bewegung kommen. Der erste Bus erreicht den Platz vor den Zelten. Erschöpfte Gesichter schauen aus den getönten Fenstern des von tausenden Kilometern eingestaubten Bus, und die Ankommenden sehen nicht das schöne, wilde, glamouröse Berlin. Es ist nicht zu erkennen, ob Hoffnung oder Verzweiflung überwiegt.
Ich begleite die ersten Personen, welche hier in Sicherheit ankommen. Deren Gepäck wird ausgeladen, es sind Plastiktüten, einzelne Koffer, so wenig für so viele Existenzen.
Absprachen, Stimmengewirr, organisatorische Prozesse laufen ab und werden mit den Bedürfnissen der Angekommenden synchronisiert.
Helfer wie Ankommende müssen eine vertrauensvolle Privatheit aufbauen.
In diesem Augenblick kann ich nichts weiter dazu beitragen. Und verlasse die Szenerie.
Veröffentlicht auf dem Titel des Magazins „Einblicke“ des Berliner Roten Kreuzes. Aus diesem stammen auch die Sachinformationen sowie der Titel.
Beauftragt vom DRK Sozialwerk Berlin gGmbH.
Photographiert von Klaus Mellenthin